Skip to main content.

Ausmalbücher für Erwachsene: Stressbewältigung auf kindliche Art


Ausmalbücher für Erwachsene werden inklusive der nötigen Buntstifte in jüngster Zeit rasant verkauft. Der Markt boomt global – weil die Erwachsenen sich auf einmal mit einem Hobby entspannen wollen, das eigentlich für Kinder im Vorschulalter erfunden wurde. Psychologen finden das logisch.

Der Regen und das Malbuch
In Deutschland herrscht im Juni 2016 Dauerregen und Überschwemmung. Auch wer keinen Hochwasserschaden zu beklagen hat, leidet an gedrückter Stimmung. Urlauber an Ost- und Nordsee scheuen sich davor, an die Lieben daheim Postkarten mit Strand und Sonne zu schicken, denn das würde irgendwie gar nicht stimmen. Doch der Schreibwarenladen bietet Abhilfe: Dort gibt es Ausmalbücher (oft im A6-Format), die aus dicken und heraustrennbaren Pappseiten bestehen. Bedruckt sind sie zum Beispiel mit Blumen-, Tier- oder Landschaftsmotiven in Schwarzweiß, die Vorlagen stammen von anerkannten KünstlerInnen wie etwa der Schottin Johanna Basford, die sie speziell für Erwachsene entwirft. Inzwischen wurde sie damit zur Millionärin, denn die Nachfrage ist gigantisch. Ihre bevorzugten Zeichnungen bilden Gärten und Wälder, Unterwasserwelten und Tiere ab, die wir als Erwachsene nur noch mit Buntstiften kolorieren müssen. Die Hersteller der Stifte sind entzückt über den Nachfrageboom.

Wie funktioniert der Stressabbau mit dem Malbuch?
Anfangs kauften Erwachsene die Ausmalbücher für ihre Kinder, dann malten sie mit, dann stellten sie fest, wie das ihren Stressabbau fördert. Der Effekt ist so evident und das Material dafür so preisgünstig und gesund, dass ein Run auf die Ausmalbücher begann. Der „Telegraph“ berichtet von einem weltweiten Anstieg der Verkaufszahlen um 300 % im Jahr 2015, wobei sich der Trend fortsetzt. Es geht dabei nicht um irgendwelche Malbücher, die auch Kinder mögen. Die Erwachsenen wollen beispielsweise nichts von Hello Kitty ausmalen, auch kennen sie vielfach nicht die korrekten Farben von Disneyfiguren. Sie brauchen ihre eigenen Ausmalbücher und dazu passende Holz- oder Filzstifte. Gerade die klassischen Buntstifte aus Holz unterstützen das Erlebnis des Ausmalens auf haptisch vorzügliche Weise. Ein Holzstift fasst sich wundervoll an, er riecht und er schmeckt auch wie in frühester Kindheit, wenn wir darauf herumbeißen. Das passiert in den vielen Stunden der Kleinarbeit beim Malen, während wir am Tisch die Füße baumeln lassen, vor uns hin summen und auf einmal träumerisch an die glücklichsten Stunden unserer Kindheit erinnert werden. Genau das ist der Effekt der Stressbewältigung. Unternehmen beispielsweise in der IT-Branche wissen das längst und richten ihren MitarbeiterInnen unmittelbar neben den Büros kindliche Spielplätze ein, um sie zu entstressen und damit ihre Kreativität zu fördern.

Bildliche Erinnerung durch das Malen
Der in Lyon geborene, heute in München lebende Psychologe Louis Lewitan verweist auf die bildhafte Erinnerung, die gerade eigenes Malen erzeugt. Erwachsene kreieren sich damit eine wunderbare und heile Welt, wobei Ausmalen einer Vorlage jeden Stress vermeidet. Korrekt muss das ebenfalls nicht erfolgen, wenn es sich um eine Fantasiewelt von Blumen oder Unterwasserlandschaften handelt. Gleichzeitig bringt das Ausmalen eine gewisse Struktur mit sich, die zu unseren ältesten Erfahrungen gehört, denn praktisch jedes Kind hat irgendwann mit Buntstiften gemalt. Schon als Kind hat uns das Ausmalen beglückt, dieses Glücksgefühl wird im erwachsenen Gehirn unmittelbar wieder aktiviert. Allerdings gehört zur wirklichen Gesundung durch Ausmalen eine ganz bestimmte Fähigkeit: Erwachsene müssen ihren gewohnten Perfektionismus dabei vergessen. Beim Ausmalen geht mal etwas daneben, bisweilen rutscht der Stift andauernd über die Linien der Vorlage. Das sollte toleriert werden, auch farbliche Details dürfen nicht stören. Eine Sonnenblume kann ruhig rot statt gelb ausgemalt werden, zudem muss das Bild keinesfalls heute Abend noch fertig werden. Wem das gelingt, der hat unglaublich viel gewonnen, so der Stressforscher Lewitan. Er kann sich den Boom der Erwachsenen-Malbücher gerade jetzt gut erklären. Es komme darauf an, so der Psychologie, dass moderne Berufstätige einmal nichts Virtuelles unternehmen. Sie sind aktiv und sogar mit Bildern befasst – aber ohne PC, Smartphone, Google & Co. Das dürfte das eigentliche Geheimnis des gesunden Ausmalens sein.